Ich gebe ja zu, dass ich etwas vorspiele...
Viele Menschen spielen ihre Rollen und sie sagen nicht:
"Du, ich spiele dir gerade etwas vor"
Im Theater ist es klar...dass wir etwas vorspielen...
um Fragen aufzuwerfen...
Realitäten zu spiegeln...
Narrativen zu hinterfragen...
und...und...und...
Also, wer ist dann der Wahrheit näher und der Lüge ferner?
...
Patrick Balaraj Yogarajan wurde in Jaffna in Sri Lanka geboren und migrierte mit elf Jahren nach Münster in Deutschland. Mit neunzehn Jahren macht er sich auf, um Schauspieler zu werden. Nach einer Odyssee durch verschiedene Länder schloss er 2015 sein Schauspielstudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) mit einem Master ab. Schon vor und während seiner Studienzeit konnte er mit Regisseur:innen wie Marco Štorman, Heike M. Goetze, Herbert Fritsch, Sabine Harbeke, Sebastijan Horvat und Dominik Locher arbeiten. Seine Masterarbeit schrieb er basierend auf seinem Experiment „Gitterstäbe der Identität“, einer Straßenperformance, die er in München, Stuttgart, Dortmund, Aachen, Köln und Münster zeigte. Er ist ein Gründungsmitglied der Formation Experi Theater Zürich, wo er bis 2018 als Performer und Übersetzer mitwirkte, in Theater- wie in Filmprojekten. Bisher führten ihn Engagements als Gast u. a. ans Schauspielhaus Wien, Theater Neumarkt Zürich und das Theater Konstanz. In dem Kinofilm „Soundless Dance“, der 2019 beim 43. Atlanta Film Festival Weltpremiere feierte und beim Jaffna International Cinema Festival 2019 den Hauptpreis gewann, verkörpert er die Hauptrolle Siva. Seit der Spielzeit 20/21 ist Patrick Balaraj Yogarajan festes Ensemblemitglied am Theater Bremen.
Im Herzen tickt eine Bombe: Mit diesem Monolog stellst du dich am Theater Bremen dem Publikum vor. Kein leichtes Stück, aber ein Stück, wie mir die Dramaturgin erzählte, das du gern spielen wolltest. Was reizt dich daran?
Patrick Balaraj Yogarajan: „Ich bin der Zwillingsbruder eines Bürgerkriegs“, das steht im Stück und ist auch der Titel des Interviews mit Wajdi Mouawad in Theater der Zeit. Das hat mich sehr angesprochen. Ich bin mit elf Jahren aus Sri Lanka nach Deutschland gekommen, vor dem Bürgerkrieg dort geflohen. Die Frage, was wäre, wenn ich da geblieben wäre, oder was passiert mit meinen Altersgenossen oder anderen Menschen dort, begleitet mich seitdem. Auch wenn man hier lebt, spielt der Krieg im Kopf immer eine Rolle. Und Mouawad artikuliert in dem Stück Schmerzen, die ich auch kenne. Da habe ich gedacht, ich habe Lust, das zu spielen.
Das ist dann ja schon ganz schön nah an dir dran …
Patrick Balaraj Yogarajan: Ein Schauspieler trifft einen Autor oder Regisseur immer bei der Figur – dieses Zusammentreffen mit Mouawad ist schon krass. Auf der anderen Seite kann man in einer Geschichte natürlich auch all das, was man selbst nicht erlebt hat, durch seine Fantasie erleben. Aber natürlich gibt es für uns alle Ereignisse, die uns prägen und unsere Wahrnehmung der Welt bestimmen. Wahab, der Protagonist in Im Herzen tickt eine Bombe, sucht danach, wie man eine Geschichte über sich selbst erzählt und setzt immer wieder neu an. Es sind drei Ereignisse, von denen er erzählt, vom Krieg, vom Verlust seiner Mutter durch Krebs und vom Erwachsenwerden. Er fragt sich: Was macht mich aus?
Mich haben besonders die Erzählungen über den Bürgerkrieg und den Tod der Mutter beschäftigt. Während mir, in Deutschland geboren und aufgewachsen, die Kriegserfahrung fremd ist, findet Mouawad einen künstlerischen und poetischen Weg, sie mir nahezubringen … das hat mich sehr berührt.
Patrick Balaraj Yogarajan: Ich glaube, wenn man wach ist, ist einem eigentlich nichts fremd. Eine Erfahrung erscheint uns näher, die andere ferner, aber man kann die eine durch die andere näher bringen. Das macht Mouawad: Durch den Bürgerkrieg, den Tod der Mutter und das Begleiten einer an Krebs erkrankten Person eröffnet er ein großes Spektrum – in dessen Mitte finden sich viele Menschen, die an der ein oder anderen Erfahrung anknüpfen können. Ich glaube, da muss man schon recht glücklich sein, wenn man von keinem von den dreien betroffen ist. Wahab wurde durch diese Dinge auch zum Künstlerwerden angetrieben, er sagt: Es gibt keine Polizei, die die Macht hätte, jemanden in sichere Berufe zurückzubringen, der von der quälenden Existenz in die Eingeweide der Malerei geschleudert wurde. Ich mag diesen Satz total, aber der wurde leider gestrichen … (lacht) Das kenne ich auch, ich hatte auch diesen Antrieb, Künstler zu werden.
Als du dich dazu entschieden hast, Schauspieler zu werden, war dein Vater dagegen. Du bist dann mit 19 Jahren von zu Hause ausgezogen und hast dein Ziel ohne seine Unterstützung verfolgt. Das hat dich nicht angefochten, dass er das so sehr abgelehnt hat?
Patrick Balaraj Yogarajan: Nein, ich fand das Leben so krass und in mir sammelten sich so viele Themen. Als ich in Sri Lanka lebte, wollte ich eigentlich schreiben – und als ich dann nach Deutschland kam, konnte ich die Sprache nicht und hatte dann auch erstmal keine Sprache mehr, da ich in meiner Muttersprache ja nicht weiter unterrichtet wurde. In der Schule bin ich dann schnell gut klargekommen, war bald auch ein Klassenclown und ich merkte: Ich will spielen und die Schauspielerei ist dafür ein super Medium. Das war dann dringlich, dass ich Schauspieler werden wollte und nicht Ingenieurwesen studieren.
Leicht war das dann erstmal auch nicht, auf deiner Homepage beschreibst du, wie dir, als schwarzem Menschen mit großer Heftigkeit die Tür einer deutschsprachigen Schauspielschule vor der Nase zugeschlagen wurde. Du bist aber dran geblieben, hast nicht aufgegeben und 2015 deinen Abschluss an der ZHdK in Zürich gemacht.
Patrick Balaraj Yogarajan: Ich habe bestimmte rassistische Erfahrungen gemacht – und das kann man auch thematisieren und das Theater muss sich dem stellen: Zum einen den gesellschaftlichen Themen, die uns alle angehen, dann aber auch intern der Frage, wie man Rollen besetzt. Wenn wir das nicht reflektieren, unterlaufen uns Fehler und wir reproduzieren Stereotype. Und ich denke, wir können als Theater oder im Film viel bewegen und Menschen zum Nachdenken anregen. Ich will nicht das reproduzieren, was nicht mehr stimmen sollte, was ein Überbleibsel von kolonialistischem Denken ist.
Nach deiner Premiere jetzt Anfang Oktober bist du beim Familienstück dabei: In der Ronja Räubertochter stehst du als Birks Vater Borka auf der Bühne – magst du das, für Kinder zu spielen?
Patrick Balaraj Yogarajan: Ich habe noch nie für Kinder gespielt. Ich bin gespannt.
Du hast zuletzt in Zürich gelebt und gearbeitet: Wie leicht fällt dir der Umzug nach Bremen?
Patrick Balaraj Yogarajan: Ich habe sehr schnell eine Wohnung gefunden, aber wegen Corona habe ich noch niemanden kennengelernt. Ich kenne auch noch nicht viele Kolleginnen und Kollegen, weil ich ja einen Monolog erarbeite … (lacht) Diese Einsamkeit tut aber auch gut, um die Rolle vorzubereiten. Ich freu mich aber drauf, in der nächsten Produktion Leute kennenzulernen …
Was erhoffst du dir von deiner Arbeit hier?
Patrick Balaraj Yogarajan: Es ist wie immer der Wunsch, an den Arbeiten zu wachsen und auch an Arbeiten beteiligt zu sein, die gesellschaftsrelevant sind. Das ist mir wichtig, mein Schauspieler-Sein als gesellschaftlichen Beitrag zu sehen und nicht nur lustig oder unterhaltend.